Obdachlosigkeit bekämpfen – Housing First auch in Bremen umsetzen

LeonidakisArmut & ReichtumSozialesStadtentwicklung, Beiräte & Bürger*innenbeteiligung

Nach Artikel 14 (1) der Landesverfassung haben alle Bewohner*innen der Freien Hansestadt Bremen „Anspruch auf eine angemessene Wohnung“. Die Landesverfassung weist dem Staat und den Gemeinden ausdrücklich die Aufgabe zu, „die Verwirklichung dieses Anspruchs zu fördern.“ Wohnen ist ein Grundrecht.

Für Obdachlose ist dieses Grundrecht erkennbar nicht erfüllt. Die Gründe, aus denen Menschen in die Situation geraten, keine Wohnung zu haben, sind vielfältig. Der weit überwiegende Teil der Obdachlosen möchte jedoch eine Wohnung haben. Nur ein sehr geringer Anteil wünscht sich ein Leben im Zelt, im Bauwagen, im Wohnheim oder in Notunterkünften. Das ist das Ergebnis der regelmäßigen Befragung durch die Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe.

Hier setzt der „Housing First“-Ansatz an, der in immer mehr Ländern und Kommunen mit Erfolg erprobt wird. Danach gelingt der Schritt, sich um die eigene Wohnung zu kümmern und dafür Verantwortung zu übernehmen, deutlich leichter, wenn es sich tatsächlich um eine eigene Wohnung handelt und nicht um ein, von vorneherein befristet angelegtes, Leben in nichtselbständigen Wohnformen, unabhängig davon, ob sich die Wohnung z.B. im Geschossbau befindet oder in Gebäuden am Rande von Nachbarschaften.

Um „Housing First“ umzusetzen und dadurch Obdachlosigkeit in den meisten Fällen zu beenden, sind zwei Dinge nötig: begleitende Betreuung und Wohnungen. Die Zahl der Belegwohnungen in der Stadt Bremen ist bislang noch zu gering und wird überwiegend für Menschen benötigt, die von Wohnungslosigkeit bedroht, aber noch nicht obdachlos sind. Obdachlose werden bislang auf Unterbringungsformen verwiesen, die im Sinne des Stufen-Konzepts an das selbständige Wohnen heranführen sollen, was bei manchen Personengruppen nicht gelingt und nicht selten sogenannte „Drehtür-Effekte“ einsetzen.

In Bremen wird der Housing First-Ansatz bisher nicht praktiziert. Die Angebote für Obdachlose umfassen Notunterkünfte, die Vermittlung in Schlichthotels, befristet betreute Wohnformen und einige wenige Not- und Belegwohnungen. Vor dem Hintergrund mehrerer Hundert Wohnungsloser in der Stadtgemeinde und den positiven Erfahrungen mit dem Housing First-Ansatz soll nun die Umsetzung in Bremen in einem Pilotprojekt erprobt werden.

Nicht alle Wohnungen sind für Obdachlose geeignet. Aus verschiedenen Gründen sind dafür auch Wohnungen wichtig, die sich nicht im Geschosswohnbau befinden und ein gewisses Maß an Abstand gewährleisten. Gleichzeitig sollten sie nicht abgelegen sein, sondern eine gute infrastrukturelle Anbindung haben. Mit dem Abriss von Schlichtsiedlungen hat sich die Zahl solcher Angebote verringert, umso wichtiger ist der Erhalt bzw. Ausbau dieser Wohnform.

Obdachlosigkeit kann beendet werden. Notwendig dafür ist der politische Wille, auf allen Ebenen Anstrengungen zu unternehmen und zu fördern, damit es sowohl genügend geeignete Wohnungsangebote für Obdachlose gibt.

Die Bremische Bürgerschaft (Stadtbürgerschaft) möge beschließen:

  1. Die Bremische Bürgerschaft (Stadtbürgerschaft) erachtet die bestmögliche Reduzierung der Wohnungslosigkeit als ein wichtiges sozialpolitisches Ziel. Zur langfristigen Vermeidung und Reduzierung der Obdachlosigkeit in der Stadtgemeinde Bremen erscheint der „Housing First“-Ansatz als geeignete Ergänzung zu den bestehenden Angeboten und des Konzepts Einfach Wohnen.
  2. Der Senat wird daher aufgefordert, ein Pilotprojekt „Housing First“ zur Vermittlung von Wohnungen an Obdachlose zu entwickeln.
  3. Die Bremische Bürgerschaft (Stadtbürgerschaft) bittet den Senat ein ressortübergreifendes Konzept vorzulegen, welches insbesondere folgende Aspekte beinhaltet:

    Wie der jährliche Kauf von 50 Belegrechten und deren Verwaltung im Rahmen eines Pilotprojekts gestaltet werden soll. Das Konzept soll mindestens ein Kontingent von 35 Belegrechten jährlich für „Housing First“ vorsehen.
    1. Identifizierung von Flächen und Wohnobjekten durch die zuständigen Ressorts, die kurz- und mittelfristig sowohl im Bestand als auch im Neubau realisiert werden können zur Umsetzung des Housing-First-Ansatzes
    2. Darunter Identifizierung von Flächen und Wohnobjekten, die insbesondere für Wohnungslose geeignet sind, die mehr Frei- und Toleranzräume benötigen
    3. Prüfung von Instandsetzung, Erhalt und der weiteren Akquise von sehr niedrigpreisigen Wohnungen außerhalb des Geschosswohnbaus (sogenannter Schlichthäuser), die im Rahmen gemischter Nutzungskonzepte unter anderem auch für die Vermittlung von Obdachlosen in Wohnen geeignet sind, für die eine Vermittlung in Geschosswohnbau kein realistisches Angebot ist;
    4. Angaben wie die begleitende Betreuung für die genannten Angebote umgesetzt werden müsste;
    5. Vorschläge wie die Notlage von Wohnungslosen, die nicht in Wohnraum vermittelt werden können oder wollen, z.B. durch die verbesserte Verfügbarkeit von Schließfächern, Toiletten und Duschen abgemildert werden kann.
    6. Die Bremische Bürgerschaft (Stadtbürgerschaft) bittet den Senat kurzfristig gemeinsam mit den Trägern der Wohnungslosenhilfe zu prüfen, inwiefern die Öffnungszeiten der beheizten Aufenthaltsangebote und Unterkünfte für Wohnungslose während des Winters verlängert und ob Lösungen für die Haltung von Hunden umgesetzt werden können.
    7. Die Bremische Bürgerschaft (Stadtbürgerschaft) bittet den Senat auch weiterhin fortlaufend zu prüfen, welche Flüchtlingsunterkünfte ggf. nicht mehr benötigt werden und für Obdachlose genutzt werden könnten.
    8. Die Bremische Bürgerschaft (Stadtbürgerschaft) bittet den Senat, den zuständigen Deputationen binnen sechs Monaten über die ergriffenen und zu ergreifenden Maßnahmen zu berichten.

Sofia Leonidakis, Ralf Schumann und Fraktion DIE LINKE
Birgitt Pfeiffer, Falk Wagner, Mustafa Güngör und Fraktion der SPD
Thomas Pörschke, Björn Fecker und Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN