EU-Asylpolitik: Mehr Entscheidungsbefugnisse für Länder und Kommunen schaffen

LeonidakisMigration & Integration

Die aktuellen Ereignisse auf der griechischen Insel Lesbos und an der griechisch-türkischen-Grenze zeigen erneut und eindringlich: Das angestrebte Ziel einer gemeinsamen, solidarischen Flüchtlings- und Asylpolitik der EU-Mitgliedstaaten wird nicht erreicht. Dies zeigt sich insbesondere an „Dublin“. Auch die Vereinbarung zwischen der EU und der Türkei trägt nicht zur Entschärfung der Lage auf den griechischen Inseln bei. Trotz jahrelanger Kritik von Seiten diverser Hilfsorganisationen hielt die EU an beidem fest. Das Ergebnis ist die nun erneut eskalierende Situation an der EU-Außengrenze. Die Aufnahme von Schutzsuchenden an den EU-Außengrenzen ist nicht gewährleistet, einige Staaten verweigern die Aufnahme generell, andere werden durch Regelungen wie das Dublin-Abkommen mit einer großen Zahl von Flüchtlingen überfordert, Umverteilungen aus den Hotspots in Zielregionen funktionieren nur schleppend bis gar nicht.

Die Haltungen der europäischen Bevölkerungen zur Aufnahme von Geflüchteten spalten sich zunehmend: Immer noch gibt es viel Hilfsbereitschaft, aber Ablehnungen nehmen insbesondere in den Hotspot-Regionen zu, bis hin zu gewalttätigen Abwehrreaktionen. Gleichzeitig melden sich immer mehr Kommunen, die bereit und in der Lage sind Geflüchtete aufzunehmen - europaweit. Deshalb wird in jüngster Zeit vermehrt vorgeschlagen, Städte und Gemeinden in ihren Kompetenzen bei der Aufnahme von Geflüchteten zu stärken. Und die EU-Kommission treibt mit diversen Aktivitäten, wie der «Urban Agenda for the EU» den Einbezug der kommunalen Ebene in diversen Politikfeldern voran. Die Kommunen selbst melden sich immer lauter zu Wort. Sie fordern mehr Mitsprache und vernetzen sich, um sich besser Gehör zu verschaffen. Städte-Netzwerke wie EUROCITIES zeugen von einer hohen Bereitschaft, sich mehr zu engagieren, auch gegen den Willen der nationalen Regierungen. Viele Kommunen in Europa haben eigene Vorstöße, Ideen und Modellprojekte für eine Neugestaltung der Aufnahmepolitik und -prozeduren geschaffen. Unter Berücksichtigung des Subsidiaritätsprinzips sollten diese mehr Anwendung finden können.

Bislang sind bei der Entscheidung über Aufnahme und Verteilung von Schutzsuchenden die nationalen Regierungen maßgeblich. Den Kommunen, Regionen und Bundesländern mehr Spielräume für die Aufnahme von Schutzsuchenden einzuräumen, würde also der blockierten europäischen Asylpolitik neue Dynamik verleihen.

Die Große Koalition hat am 8. März beschlossen, in einer „Koalition der Willigen“, also aufnahmebereiten EU-Mitgliedstaaten, 1000 bis 1500 Kinder im Alter bis 14 Jahre, die unbegleitet oder dringend schutzbedürftig seien, aufzunehmen. Das ist ein Anfang, der jedoch nicht ausreicht, um die extreme humanitäre Notlage in den EU-Hotspots auf den Ägäis-Inseln Abhilfe zu schaffen. Laut UNHCR befanden sich Stand Anfang März 42.050 Geflüchtete auf den griechischen Inseln, darunter etwa 14.300 Kinder und Jugendliche.

Die Bürgerschaft (Landtag) möge beschließen:

Die Bürgerschaft (Landtag) verurteilt das brutale Vorgehen an der türkisch-griechischen Grenze gegenüber den Geflüchteten und berichterstattenden Journalist*innen sowie das Aussetzen des Rechts auf Asyl durch die griechische Regierung und erwartet sofortige humanitäre Hilfsmaßnahmen durch die EU-Mitgliedstaaten.

I. Angesichts der zugespitzten Lage in Griechenland fordert die Bürgerschaft (Landtag) den Senat auf, sich auf Bundesebene unverzüglich dafür einzusetzen, dass

1. die Bundesregierung entsprechend ihrer Beschlusslage unverzüglich die zugesagten 1000 bis 1500 Kinder und Jugendliche aufnimmt und insoweit ihre Entscheidung korrigiert, gegenwärtig keine Geflüchteten mehr nach Deutschland einreisen zu lassen;
2. die Bundesregierung zügig ein Kontingent von besonders schutzbedürftigen Geflüchteten aus Griechenland und den ägäischen Inseln über die am 8. März beschlossenen 1000 bis 1500 Kinder und Jugendliche hinaus aufnimmt und grundsätzlich eine Erhöhung der deutschen Kontingente für das EU-Resettlement in Aussicht stellt;
3. das Bundesamt für Flüchtlinge (BAMF) und die Bundesregierung unverzüglich die Familienzusammenführung von Schutzsuchenden in Griechenland mit ihren Verwandten umsetzt;
4. die Bundesregierung in Kooperation mit anderen EU-Ländern Griechenland so unterstützt, dass das Recht auf Asyl uneingeschränkt gewährt werden kann, Geflüchtete an der EU-Außengrenze zügig registriert werden und sie dann Zugang zu einem fairen Asylverfahren erhalten;
5. die Bundesregierung in Kooperation mit anderen EU-Ländern eine sofortige Evakuierung der Geflüchteten von den griechischen Inseln realisiert.

II. Weiterhin fordert die Bürgerschaft (Landtag) den Senat auf, sich auf Bundes- und europäischer Ebene dafür einzusetzen, dass die Rolle der subnationalen Ebene, insbesondere Regionen und Kommunen, im Rahmen der europäischen Asylpolitik gestärkt wird, indem

1. im Rahmen des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems eine zentral von der Europäischen Kommission verwaltete Förderlinie zur Unterstützung zusätzlich aufgenommener Geflüchtete eingerichtet wird. Hieraus sollen den Bundesländern in Mitgliedstaaten der Europäischen Kommission bis zu 100 Prozent der Ausgaben erstattet werden, die ihnen dadurch entstehen, dass sie sich über die von ihrem Mitgliedstaat eingegangenen Verpflichtungen hinaus zur Aufnahme, Betreuung und gesellschaftlichen Inklusion in ihren Kommunen bereit erklären und entsprechend Geflüchtete aufnehmen;
2. der Zugang der Länder zu diesen oder anderen EU-Mitteln so erleichtert und deren Weitergabe an die Kommunen so rechtlich geregelt wird, dass auch kleinere oder finanzschwache Kommunen daran partizipieren können;
3. die Kommunikationswege zwischen der kommunalen und der europäischen Ebene so ausgebaut werden, dass die besonderen Herausforderungen, vor denen Kommunen bei der Aufnahme, Betreuung und gesellschaftlicher Inklusion von Geflüchteten stehen, direkt von der europäischen Ebene wahrgenommen werden.

Dr. Henrike Müller, Sahhanim Görgü-Philipp, Björn Fecker und Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
Sofia Leonidakis, Nelson Janßen und Fraktion DIE LINKE
Antje Grotheer, Mustafa Güngör und Fraktion der SPD