Zwischen Regelsystem und geschlossener Einrichtung: Welche Angebote bietet die Bremer Jugendhilfe für junge Menschen mit besonderen Bedarfen?

Viele der jungen Menschen, seien sie geflüchtet oder im Bundesland Bremen aufgewachsen, die als „verhaltensauffällig“ beschrieben werden, sind in belastenden Kontexten aufgewachsen und in eine soziale Umgebung eingebettet, die für sie nicht förderlich ist.

Meist lernen diese Jugendlichen Überlebensstrategien, um in ihrer Umgebung zu "funktionieren". Sie eignen sich Verhaltensmuster an, mit denen sie in ihrer Umwelt bestehen können. Wenn junge Menschen Gewalt gegen sich selbst oder andere ausüben, sich aggressiv oder respektlos verhalten oder Suchtprobleme haben, ist es Aufgabe der Jugendhilfe und kooperierender Bildungs- und Gesundheitsinstitutionen, aufbauend auf einer guten Diagnostik adäquate Angebote zu schaffen.

Meistens lassen sich Verhaltensauffälligkeiten zurückführen auf ein Aufwachsen in problembelasteten Verhältnissen, deren Alltag bereits in frühester Kindheit z.B. durch Gewalt, Missbrauch, Vernachlässigung oder Beziehungsabbrüche geprägt ist. Bei geflüchteten Jugendlichen kommen traumatische Erfahrungen auf der Flucht oder im Herkunftsland hinzu.

Manche junge Menschen verarbeiten derart traumatische Erlebnisse, indem sie ihre Verhaltensweisen an das Erlebte anpassen. Schnell wird in diesen Fällen darauf hingewiesen, dass solch delinquente und aggressive junge Menschen mit den bestehenden Angeboten der Jugendhilfe nicht erreicht werden könnten, sie sogenannte „Systemsprenger“ wären. Bevor also nach einer geschlossenen Unterkunft (GU) als Ultimo Ratio gerufen wird, sollte zuvor ermittelt werden, wie die Bedarfe gelagert sind, ob entsprechend bedarfsgerechte Angebote in Bremen existieren und wo folglich ein Ausbaubedarf an Angeboten besteht, die den individuellen Lebensläufen, dem Schutz, der Förderung und der Beteiligung dieser jungen Menschen Rechnung tragen.

Vor diesem Hintergrund fragen wir den Senat:

I. Allgemein 

1.    Wie haben sich die Angebote im Bereich der präventiven und aufsuchenden Straßensozialarbeit in den vergangenen fünf Jahren im Land Bremen entwickelt?

2.    Welchen Stundenumfang haben die bestehenden Angebote der aufsuchenden Straßensozialarbeit? Bitte nach Angebot und Trägern aufschlüsseln.

3.    Plant der Senat einen Ausbau der Straßensozialarbeit? Wenn nein, warum nicht, wenn ja, bitte Zeitrahmen und Umfang des geplanten Ausbaus nennen.

4.    Wie viele Plätze sind in der „Mobilen Betreuung“ (MoB) derzeit vorhanden und wie haben sie sich in den vergangenen fünf Jahren entwickelt?

5.    An welche Zielgruppe richten sich die Angebote der mobilen Betreuung und welchen Stundenumfang haben diese Angebote ?

6.    Wie hat sich die Platzzahl in ISE-Einrichtungen (intensive sozialpädagogische Einzelbetreuung) im Bundesland Bremen seit 2011 im Bundesland Bremen entwickelt (bitte nach Zielgruppe, d.h. geflüchtete, nicht geflüchtete oder integrativ belegte Einrichtungen, delinquente Jugendliche, etc. aufschlüsseln)?

7.    Welche intensivpädagogischen Jugendhilfeeinrichtungen verfügen über einen interdisziplinären Personalmix (z.B. SozialpädagogInnen, PsychologInnen, TraumapädagogInnen etc.), welche Qualifikationen sind dort vorhanden welche Zielgruppe und wie viele Plätze haben diese Einrichtungen?

II. Delinquenz

8.    Wie viele Jugendliche (inklusive der unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge) werden derzeit im Bundesland Bremen als delinquent eingestuft? Wie viele davon als sog. Intensivtäter (bitte nach Altersgruppe und Geschlecht differenzieren)? Wie viele der Intensivtäter befinden sich in Obhut des Jugendamtes?

9.    Wo sind die in Obhut genommenen jugendlichen sog. Intensivtäter untergebracht (bitte Einrichtungsart, Betreuungsumfang und Fluchthintergrund ja/nein angeben)?

10.  Welche pädagogischen und therapeutischen Bedarfe (z.B. Suchttherapie, Psychotherapie oder Traumapädagogik) wurden in der Hilfeplanung bei den jugendlichen Intensivtätern festgestellt und konnten die entsprechenden Maßnahmen eingeleitet werden? Wenn nein, warum nicht, wenn ja, welche Maßnahmen wurden eingeleitet?

11.  Welche Versuche wurden unternommen, um negative Gruppendynamiken zu unterbrechen (z.B. durch getrennte Unterbringung)?

12.  Welche speziellen Angebote bietet die Straßensozialarbeit für delinquente Jugendliche an welchen Standorten?

13.  Wie viele sog. Intensivtäter befinden sich in der mobilen Betreuung und mit welchen Stundenumfängen werden sie betreut?

14.  Für welchen Zweck und für welche Bedarfe wurde der Kinder- und Jugendnotdienst (KJND) incl. „Rund um die Uhr“-Notruf geschaffen? Was hat der Senat, bzw. das Sozialressort unternommen, um die mehrmals in der Öffentlichkeit und der Bürgerschaft angesprochene Überforderung des bisherigen KJND, bzw. den problematischen Taxi-Dienst von Polizeiverwahrung zu Notaufnahmestellen, zu lösen?

15.  Welche Notdienste/Notaufnahmestellen/weiteren Clearingstellen müssten für den Umgang mit delinquenten, aggressiven oder suchtkranken Jugendlichen geschaffen werden?

16.  Wie viele Jugendliche werden von der Jugendgerichtshilfe betreut und wie viele Stellen sind in der Jugendgerichtshilfe vorhanden?

17.  Wie viele pädagogische, therapeutische oder psychologische Fachkräfte arbeiten im Jugendvollzug?

18.  Hat der Senat bereits Gespräche mit Freien Trägern der Jugendhilfe zur Einrichtung einer Koordinierungsstelle nach Hamburger Modell geführt? Wenn ja, mit welchem Ergebnis, wenn nein, warum nicht?

19.  Sollte weiterer Bedarf an intensivpädagogischen Kleinsteinrichtungen für delinqente Jugendliche mit Fluchthintergrund bestehen, hat der Senat Gespräche mit den Trägern der Jugendhilfe geführt? Wenn ja, konnten Träger mit geeignetem Konzept gefunden werden? Fall nicht, wäre es dann für den Senat denkbar, eine solche Einrichtung selbst zu betreiben? Wenn nein, warum nicht?

III. Trauma  

20.  Wie viele Kinder und Jugendliche, die in Obhut des Jugendamtes sind, befinden sich im Bundesland Bremen in psychotherapeutischer Behandlung (bitte nach stationär und ambulant sowie Stadtgemeinde und Altersgruppe differenzieren)? Wie viele von ihnen haben einen Fluchthintergrund?

21.  Bei wie vielen der delinquenten Jugendlichen wurden eine psychotherapeutische oder psychiatrische Anamnese durchgeführt und bei wie vielen von ihnen wurden Behandlungs- oder Therapiebedarfe festgestellt (bitte mit und ohne Fluchthintergrund gesondert angeben)?

22.  Welche Maßnahmen folgten in welchem Umfang daraus? In welche therapeutischen oder psychiatrischen Angebote wurden sie vermittelt?

23.  Wie hat sich der angefragte Bedarf nach therapeutischen Angeboten von psychisch belasteten Kindern und Jugendlichen mit Fluchthintergrund beim Träger Refugio seit 2010 entwickelt?

24.  Über wie viele Therapieplätze für Minderjährige verfügt REFUGIO?

25.  Bei wie vielen jungen Menschen hat KIPSY in den vergangenen drei Jahren psychotherapeutischen oder psychiatrischen Bedarf (ambulant oder stationär) festgestellt? Wie viele von ihnen haben einen Fluchthintergrund?

26.  Wie viele dieser Kinder und Jugendlichen mit diagnostizierten Bedarfen konnten in Therapie oder psychiatrische Behandlung vermittelt werden?

27.  Wie viele Plätze gibt es in den teilstationären Kinder- und Jugendpsychiatrischen Tageskliniken Ost und Nord?

28.  Wie viele Betreuungsplätze gibt es in der stationären Kinder- und Jugendpsychiatrie Ost? Gibt es auch dort Geschlossene Einrichtungen, bzw. „fakultativ“ Geschlossene und wenn ja, welche rechtlichen Rahmenbedingungen liegen hierfür vor ?

29.  Existieren in der Stadtgemeinde Bremen stationäre oder ambulante Jugendhilfeeinrichtungen mit traumapädagogischem Schwerpunkt und interdisziplinären pädagogisch-therapeutischen Teams? Wenn nein, sieht der Senat hier entsprechenden Bedarf?

IV. Sucht

30.  Wie hat sich der Bedarf nach suchttherapeutischen, ambulanten oder stationären Angeboten für Minderjährige seit 2011 entwickelt (bitte aufschlüsseln nach Jahren und den einzelnen Trägern)?

31.  Plant der Senat stationäre drogen- und suchttherapeutische Einrichtungen für Minderjährige im Bundesland Bremen zu schaffen?

IV. Geschlossene Einrichtungen

32.  Wie viele Anträge auf mit Freiheitsentziehung verbundene Unterbringung nach § 1631b BGB wurden seit 2011 beim Familiengericht gestellt (bitte aufschlüsseln nach Jahren)?

33.  Wie vielen dieser Anträge ist das Familiengericht gefolgt? In welchen geschlossenen Einrichtungen wurden/sind die Jugendlichen untergebracht?

34.  Falls Bremer Jugendliche in den geschlossenen Jugendheimen Haasenburg und Friesenhof untergebracht waren, wie wurden die dortigen eklatanten Missstände gemeinsam mit den Jugendlichen aufgearbeitet?

35.  Welche Erfahrungen wurden aus Sicht des Senats mit den geschlossenen Heimeinrichtungen in Bremen Ellener Hof (Blockdiek) und Isenbergheim (Kornstraße in der Neustadt) gemacht?

36.  Wann wurden beide Einrichtungen geschlossen und aus welchen Gründen?

Sofia Leonidakis, Cindi Tuncel, Kristina Vogt und Fraktion DIE LINKE