Ist die Handlungsfähigkeit des Jugendamtes noch gewährleistet?

Für ein gesundes Heranwachsen von Kindern zu sorgen, ist Alltag und Aufgabe von Eltern, von Erzieher*innen und Lehrer*innen und von den Beschäftigten der öffentlichen und freien Jugendhilfe. Prekarisierung, Stadtteilsegregation und unzureichende staatliche Regelsysteme haben zu einer Zunahme von ökonomischem und auch sozialem Ausschluss geführt, der sich auf die betroffenen Familien auswirkt und die Anforderungen an die Beschäftigten, die mit den Kindern und Familien arbeiten, steigert. Der Jugendhilfe ist der Erhalt der familiären Gemeinschaft vorrangig. Erst bei akuten Gefährdungslagen oder bei unbegleiteter Einreise wird die Obhut für das Kind per Gerichtsbeschluss auf die öffentliche Jugendhilfe übertragen.

Die Träger der öffentlichen und freien Jugendhilfe bzw. die dort beschäftigten pädagogischen Fachkräfte tun ihr Bestes, ihre Aufgaben bei unzureichender und teilweise rechtswidriger Personalausstattung zu erfüllen. In Brandbriefen haben sowohl die MitarbeiterInnen des Fachdienstes Amtsvormundschaft im Amt für Soziale Dienste als auch im Bereich des Casemanagements eine deutliche Arbeitsüberlastung gegenüber der Fachaufsicht angezeigt. Damit könne eine Kindeswohlsicherung nicht mehr ausreichend gewährleistet werden.

Vor dem Hintergrund steigender Bedarfe, auch durch neu ankommende unbegleitete minderjährige Flüchtlinge, muss sichergestellt werden, dass die Aufgaben der Jugendhilfe wie Inobhutnahme, Hilfeplanung, Clearing und Betreuung zügig erfolgen können. Voraussetzung dafür ist eine deutliche Verbesserung der personellen Situation im Amt für Soziale Dienste.

Dem entgegen wirkt die nach wie vor bestehende Schlechterstellung der Sozialen Arbeit des kommunalen Jugendhilfeträgers gegenüber Kommunen im niedersächsischen Umland. Auch das Bundesland Hamburg hat im Rahmen eines Anreizsystems zur Personalgewinnung mit dem Haushaltjahr 2012 die Fachkräfte im ASD in der Entgeltgruppe 10 TV-L eingruppiert. Casemanager*innen beim Magistrat Bremerhaven und in Bremens Umlandgemeinden sind in TvÖD S14 eingruppiert und damit vergleichbar mit TV-L 10. Lediglich in der Stadtgemeinde Bremen finden sich  die Fachkräfte in der Entgeltgruppe 9 TV-L und sind damit tariflich schlechter gestellt.

Die Bremische Bürgerschaft (Stadtbürgerschaft) hat am 24.11.2015 eine Höhergruppierung der Jugendamtsmitarbeiter*innen abgelehnt (Drs. 19/37 S). Dies ist jedoch auch notwendig zur Sicherstellung des Jugendamt Weiterentwickeln-Prozesses (JuWe-Prozess), der unter anderem einen höheren Beratungsanteil durch das Casemanagement sowie Sozialraumkoordination und einhergehend mit diesem Aufgabenzuwachs eine Personalaufstockung vorsieht. Dieser Prozess, der mehrheitlich beschlossen und bereits eingeleitet ist, ist gemäß einer Zwischenevaluation gefährdet durch hohe Personalfluktuation und Personalmangel.

Am 02. Juni 2016 hat der Jugendhilfeausschuss daher mehrheitlich beschlossen, dass die „Höhergruppierung der pädagogischen Fachkräfte der öffentlichen (und perspektivisch der freien) Jugendhilfe in Anbetracht der veränderten Anforderungen und des Fachkräftemangels dringend erforderlich“ sei.  Sowohl die Umsetzung beschlossener Fachkonzepte als auch die Gewährleistung eines handlungsfähigen Kinderschutzsystems scheinen andernfalls gefährdet.

Vor diesem Hintergrund fragen wir den Senat:

1.Wie haben sich die Fallzahlen (Inobhutnahmen, Beratungen, Familiengerichtsverfahren, Jugendhilfemaßnahmen) im Casemanagement des Jugendamts Bremen im vergangenen Jahr entwickelt?

2.Wie haben sich die Personalvolumina (Soll) im Casemanagement im vergangenen Jahr entwickelt (bitte nach Fachdienst, Sozialzentrum, Stadtteilgruppen sowie nach Jahresquartalen differenzieren)?

3.Wie hat sich die Personalausstattung (Ist) im Casemanagement im vergangenen Jahr entwickelt (bitte nach Fachdienst, Sozialzentrum, Stadtteilgruppen sowie nach Jahresquartalen differenzieren)?

4.Wie viele Stellen waren monatlich seit September 2015 im Casemanagement unbesetzt?

5.Ist unter diesen Bedingungen gewährleistet, dass gemäß den Vorgaben des SGB VIII eine zeitnahe Hilfeplanung vorgenommen wird?

6.Ist die Teilnahme an Gerichtsverfahren durch das Jugendamt durchweg gewährleistet? Wenn nein, welche Konsequenzen entstehen dadurch für die Betroffenen und Justizwesen?

7.Welche Vertretungsregelungen gelten im Casemanagement im Fall von Krankheit, Urlaub, Fortbildung o.ä.? Gibt es einen Vertretungspool, auf den die Stadtteilgruppen zurückgreifen können?

8.Erachtet der Senat den Kinderschutz vor dem Hintergrund der Personalausstattung  für gewährleistet?

9.Erachtet der Senat seine Fürsorgepflicht und Gesundheitsschutz der Beschäftigten für gewährleistet?

10.Wie viele Sozialpädagog*innen sind im vergangenen Jahr aus dem Jugendamt vor Erreichen der Altersgrenze ausgeschieden?

11.Wie gedenkt der Senat/Landesjugendamt vor diesem Hintergrund den JuWe-Prozess sicherzustellen?

12.Hat der Senat den JHA-Beschluss vom 2.6.2016 zur Kenntnis genommen und darüber beraten? Wenn ja, wann und mit welchem Ergebnis? Wenn nein, warum nicht?

13.Erachtet der Senat es weiterhin für nicht erforderlich, die Beschäftigten des Jugendamtes analog den Bremerhavener Sozialpädagog*innen sowie bundesweit üblichen Gehaltsstrukturen entsprechend zu entlohnen?

 Sofia Leonidakis, Cindi Tuncel, Kristina Vogt und Fraktion DIE LINKE