Leonidakis: AfD-Parteiverbotsprüfung

Verfassung schützen – Demokratie verteidigen

Die Recherchen des Medienhauses CORRECTIV zu einem geheimen Treffen am 25. November 2023 in Potsdam legten offen, was die extreme Rechte unter maßgeblicher Beteiligung der AfD plant: Die massenhafte und systematische Vertreibung und Deportation von Menschen mit Migrationserbe sowie migrantisierten Menschen mit rechtlichen Mitteln, durch Rechtsbruch bis hin zu Gewalt. Die Fähigkeit, diese menschenverachtenden und verfassungsfeindlichen Pläne in die Realität umzusetzen, soll über die AfD erlangt werden, welche durch Wahlerfolge Exekutiv- und Legislativgewalt erreichen soll. Hierfür werden finanzstarke Geldgeber akquiriert, der mediale Einfluss ausgeweitet und Netzwerke geschmiedet.

Die Beteiligung von AfD-Politiker*innen aus dem Bundestag, aus der Führungsriege sowie von Vorsitzenden von Landtagsfraktionen zeigt, dass es sich hier nicht um die Beteiligung von Einzelpersonen handelt. Die AfD kann zumindest in Teilen als parlamentarischer Arm der rechtsradikalen, neurechten bis hin zur neonazistischen Szene bezeichnet werden. Ihre Netzwerke reichen von gewaltbereiter Bewegung über extrem rechte Verlage, Thinktanks und Stiftungen bis hin zu sehr solventen Geldgeber*innen. Sie hat sich als Partei stetig nach rechts entwickelt, wird von Akteuren des offiziell aufgelösten „Flügels“ wesentlich geprägt und gilt in drei Bundesländern als gesichert rechtsextrem sowie bundesweit überwiegend als rechtsextremer Verdachtsfall.

Die Konkretion der Pläne hat viele Menschen in Deutschland erschüttert. Bürger*innen mit Migrationserbe und migrantisierte Personen befürchten einen zunehmenden Alltagsrassismus, Übergriffe oder staatliche Repression und Vertreibung im Falle einer Regierungsbeteiligung durch die AfD. Auch andere betroffene Menschengruppen und Minderheiten fürchten zunehmend um ihre Sicherheit.

Die Demonstrationen von Millionen Menschen im ganzen Land nach Bekanntwerden der Recherchen haben die Vielfalt und Wehrhaftigkeit der Zivilgesellschaft gezeigt. Zugleich sind sie eine Aufforderung an die politisch Verantwortlichen, die Verfassung zu verteidigen und sich, wenn nötig, im Sinne einer wehrhaften Demokratie gemeinsam gegen die AfD zu stellen und gegen die Gefahr, dass die Demokratie unter Zuhilfenahme demokratischer Mittel ausgehöhlt wird und faschistische Kräfte Parlamentsmehrheiten und in Regierungen oder Verfassungsgerichten Exekutiv- und Judikativgewalt erlangen.

Gemäß Artikel 21 Absatz 2 GG können Parteien verboten werden, die „nach ihren Zielen oder nach dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgehen, die freiheitlich demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden.“ Dabei muss eine Partei nicht nur den Zielen nach gegen die demokratische Verfasstheit der Bundesrepublik gerichtet sein, sondern durch planvolles und aktives Handeln im Sinne einer qualifizierten Vorbereitungshandlung an der Beseitigung der Demokratie arbeiten (vgl. Bundesverfassungsgericht, Urteil vom 17. Januar 2017, Az. 2 BvB 1/13, Rn. 575-580).

Die AfD vertritt programmatisch rassistische und rechtsextreme Positionen. U. a. in ihrem Grundsatzprogramm 2016 propagiert sie das Bild eines homogenen Volkes. Dieses völkisch-nationalistische Gesellschaftsbild erkennt Individuen nicht als Träger*innen unveräußerlicher Grundrechte an, sondern erzeugt eine auf Kategorien von Identität und Wertigkeit basierende Hierarchie, welche den Ausschluss von Personengruppen als Mitglieder der Gesellschaft und Grundrechteträger*innen ermöglicht und vorsieht. Ausdruck dessen sind Thesen der angeblichen „Völkervermischung“ und „importierte kulturelle Strömungen“. Kultur und Religionszugehörigkeit ersetzen in der Sprache der AfD das Wort „Rasse“, funktionieren aber identisch. Im Wahlprogramm 2017 bezeichnete die AfD die bloße Anwesenheit von Muslim*innen in Deutschland als „große Gefahr“. Die programmatische Verfassungsfeindlichkeit findet sich auch in den Handlungen und Äußerungen wichtiger Mandats- und Funktionsträger*innen.
AfD-Mitglieder mit Funktionen und Ämtern haben vielfach Positionen vertreten, die die Würde des Menschen verletzen, gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit verbreiten und volksverhetzend sind. Selbst die Verharmlosung oder positive Bezugnahme auf die NS-Zeit sind kein Tabu für AfD-Funktionäre – und offenbar auch kein Ausschlussgrund. AfD-Politiker*innen in Bund und Ländern fungieren als Transmissionsriemen zwischen der parlamentarischen und außerparlamentarischen extrem Rechten. Nicht selten fungiert die AfD auch als Arbeitgeberin für eben jene Rechtsextreme, indem sie diese in ihren Fraktionen beschäftigt.

Während die NPD vom Bundesverfassungsgericht nicht verboten wurde, weil sie keine Chance auf das Erreichen ihrer Ziele hat („Potenzialität“), sieht dies bei der AfD grundsätzlich anders aus. Nicht nur ist sie in Willensbildungs- und gesellschaftlicher Wirkkraft stärker, insbesondere die Wahlerfolge der AfD auf kommunaler sowie Landes- und Bundesebene führen den Unterschied vor Augen. Die AfD könnte durch Regierungsbeteiligungen oder Bürgermeisterämter zusätzliche Exekutivgewalt und Einfluss auf die Gesetzgebung sowie durch Mitwirkungsrechte bei der Besetzung und Arbeitsweise von Gerichten Einfluss auf die Judikative erlangen. Sollte sich bestätigen, dass es sich um eine verfassungsfeindliche Partei handelt, droht dadurch eine Aushöhlung der Demokratie und ihrer Institutionen.

Die Debatte unter den demokratischen Kräften in Gesellschaft, Parteien, Fraktionen und Regierungen beinhaltet nachvollziehbare Gründe sowohl für als auch wider eines Verbotsverfahrens. Dafür spräche, dass bei Vorliegen der verfassungsrechtlichen Anforderungen ein erfolgreiches Verbotsverfahren dazu führen würde, dass eine verfassungsfeindliche Partei keine öffentliche Parteienfinanzierung und keine Möglichkeit, Spenden zu akquirieren, mehr hätte. Sie könnte nicht mehr die Ressourcen demokratischer Institutionen wie der Parlamente, Verfassungsgerichte oder Verwaltungen nutzen, um ebendiese zu untergraben. Die Gründe gegen ein Verbotsverfahren liegen ebenso auf der Hand: Es würde lange dauern und währenddessen stünde zu befürchten, dass dies der AfD zu noch mehr Aufmerksamkeit und Opfermythos verhelfen würde. Zudem könnte ein gescheitertes Parteiverbotsverfahren von manchen als Legitimierung ihrer mindestens in Teilen faschistoiden Politik aufgefasst werden. Voraussetzung, um die Gründe für und wider eines Verbotsverfahrens besser beurteilen und abwägen zu können, wäre ein Zusammenführen und verfassungsrechtliches Prüfen der vorhandenen Materialien zur AfD, welche die Landesämter und das Bundesamt für Verfassungsschutz erhoben haben.
Sollten die verfassungsrechtlichen Voraussetzungen für ein Verbotsverfahren gegeben sein, sollte dieses eingeleitet werden. Es ist geboten, die Instrumente der Verfassung zu nutzen, um diese zu schützen. Antragsberechtigt für ein Parteiverbotsverfahren beim Bundesverfassungsgericht sind Bundesregierung, Bundestag und Bundesrat. Im Rahmen dieser Verfassungsorgane – und darüber hinaus – ist ein breiter Schulterschluss der demokratischen Kräfte vonnöten, um die Wehrhaftigkeit der Demokratie zu stärken.
Die Bürgerschaft (Landtag) möge beschließen:

Die Bürgerschaft (Landtag) fordert den Senat auf,
1. sich auf Bundesebene dahingehend einzusetzen, dass die Landesämter sowie das Bundesamt für Verfassungsschutz eine Materialsammlung zur AfD zusammentragen, die Belege über verfassungsfeindliche Ausrichtungen enthält und eine solide Prüfung ermöglicht, inwieweit die Partei darauf ausgeht, die freiheitlich demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen, oder inwieweit der Bestand der Bundesrepublik Deutschland durch sie gefährdet wird;
2. sich auf Bundesebene für die Prüfung eines vereinsrechtlichen Verbots der „Jungen Alternative“ einzusetzen;
3. sich auf Grundlage der Materialsammlung und unter Berücksichtigung der obergerichtlichen Entscheidung über die Einstufung der AfD als Verdachtsfall nach dem Bundesverfassungsschutzgesetz für eine zügige Entscheidung über die Einleitung eines Parteiverbotsverfahrens einzusetzen.

Sofia Leonidakis, Nelson Janßen und Fraktion DIE LINKE
Mustafa Güngör und Fraktion der SPD
Kai Wargalla, Dr. Henrike Müller und Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN