Segregation entgegenwirken: Soziale Vielfalt in allen Stadtteilen!
Bremen ist eine Stadt, die von einer hohen sozialen Spaltung zwischen den Stadtteilen gekennzeichnet ist. Der wesentliche Faktor dafür ist der Wohnungsmarkt. Vor allem hohe Mieten und Kaufpreise in den besonders begehrten Stadtteilen verstärken die räumliche Segregation der Bevölkerungsschichten innerhalb der Stadt. Soziale Mischung in den Stadtteilen ist nur möglich, wenn Menschen mit unterschiedlichen Einkommen auch in diesen Lagen Wohnungen finden, die sie sich leisten können.
Ohne ein Angebot an günstigen Wohnungen auch in hochpreisigen Stadtteilen nimmt die sozialräumliche Entmischung immer weiter zu. Denn wer ein- oder umziehen muss, muss in immer weniger privilegierte Stadtteile ziehen, denn die Angebotsmieten liegen überall drastisch über den Bestandsmieten – ein neuer Mietvertrag bedeutet also fast immer eine höhere Miete als ein alter Vertrag. Umgekehrt ist in den Stadtteilen, in denen man billiger wohnt, die Qualität der Wohnungen meist schlechter. In der Folge verlassen dort diejenigen den Stadtteil, deren Einkommen und Ansprüche steigen.
So gehen nicht nur soziale Netze und Nachbarschaften verloren, sondern die Stadtteile werden auch immer homogener. Gespaltene Stadtteile zeigen nicht nur die vorhandene gesellschaftliche Spaltung auf, sondern sie verstärken diese noch: Durch die Ballung sozialer Problemlagen verschwinden kollektive Inklusionsmechanismen. Auffangnetze wie Nachbarschaften, schichtenübergreifende Freundschaften, Bildungsvorbilder in den Schulklassen sind immer weniger vorhanden. Gleichzeitig verstärken sich privilegierte Netzwerke, die immer mehr unter sich bleiben. Das gegenseitige Verständnis verschiedener Gesellschaftsbereiche schwindet, was auch die Funktionsfähigkeit einer Demokratie einschränkt. Segregation wirkt so letztlich demokratiegefährdend.
Das Verständnis einer Stadt für Alle muss sein: Bezahlbares Wohnen muss überall möglich sein, nicht nur in einigen Stadtrandlagen. Nicht einige Stadtteile sind Ankommensquartiere, sondern die ganze Stadt. Nicht der Wohnort soll über den Bildungserfolg entscheiden, sondern die Fähigkeiten jeder und jedes Einzelnen.
Ein wesentliches Instrument, um Menschen mit geringem Einkommen Wohnraum verfügbar zu machen, sind öffentlich geförderte Wohnungen („Sozialwohnungen“). Durchschnittlich gibt es in Bremen 11 Sozialwohnungen pro 1.000 Einwohner*innen. Ein Blick auf die Karte zeigt jedoch: Sozialwohnungen sind extrem ungleich über die Stadtteile verteilt.
Ausgerechnet im teuren Schwachhausen gibt es gerade mal eine Sozialwohnung auf 1.000 Einwohner*innen, im deutlich günstigeren Woltmershausen dagegen 15 und in Gröpelingen gibt es auf 1.000 Einwohner*innen 35 Sozialwohnungen.
Auch der Blick in die Zukunft lässt – bisher – keine strukturelle Veränderung erkennen: Seit Einführung der Sozialquote 2012 entstanden stadtweit rund 3.000 neue Sozialwohnungen. Davon bis Ende 2021 fast 1.000 im Ortsteil Überseestadt, aber in teuren Lagen wie der Östlichen Vorstadt nur 72, in Schwachhausen sogar nur 18.
Die neuen Sozialwohnungen ballen sich dort, wo die großen Neubauprojekte sind. Wesentliche Ursache ist, dass die Sozialquote in ihrer klassischen Form nach § 9 Abs. 1 BauGB nur beim Beschluss neuer Bebauungspläne greift. Sie läuft allerdings ins Leere, wenn Wohnungen im bestehenden Baurecht geschaffen werden. Gerade dies ist aber der typische Fall von Wohnungsbau in teuren Lagen, da in diesen Stadtteilen nur selten größere Entwicklungsflächen verblieben sind und Bauen somit praktisch nur noch als Lückenbebauung stattfindet. Entsprechende Bauprojekte sind häufig unter der Bagatellgrenze von 20 Wohneinheiten, ab denen die Sozialquote greift, oder müssen nicht mit neuem Baurecht unterlegt werden. Aus diesem Grund hat der Bundesgesetzgeber im Baulandmobilisierungsgesetz den Kommunen die Möglichkeit geschaffen, für Innenbereiche ohne Bebauungsplan „Bebauungspläne zur Wohnraumversorgung“ zu erlassen, die eine Sozialquote auch für diese Gebiete festsetzen können (§ 9 Abs. 2a BauGB). Für Bremen bietet der sogenannte „Sektorale Bebauungsplan“ die Chance, einen wohnungspolitischen Beitrag gegen die sozialräumliche Spaltung der Stadt zu leisten und konnte mit ersten probehaften Aufstellungsbeschlüssen im letzten Jahr gesichert werden. Die Regelung ist jedoch zum 31.12.2024 ausgelaufen – eine Fortsetzung hängt vom Ausgang der Bundestagswahl ab.
Zur Sicherung sozialer Vielfalt in den Stadtteilen müssen auch mittlere Einkommensgruppen von der Wohnungspolitik in den Blick genommen werden. Die Einkommensgrenzen für Wohnberechtigungsscheine, die den Bezug einer geförderten Wohnung ermöglichen, werden auch von Angehörigen der unteren Mittelschicht bereits oft überschritten. Weil gleichzeitig der Preissprung zwischen den in einem Neubau-Quartier errichteten Sozialwohnungen und den freifinanzierten Wohnungen oft zu groß ist, können Menschen mit mittleren Einkommen diese Quartiere oft gar nicht beziehen. In der Überseestadt etwa hat sich dieses Phänomen im großen Stil gezeigt. Deshalb ist es von hoher Bedeutung, auch verlässlich preisgebundene Wohnungen in einem mittleren Preissegment zu schaffen. Das Land Bremen hat in seiner Wohnraumförderung hierfür bereits die Voraussetzungen mit einer entsprechenden Förderschiene geschaffen, nun gilt es, diese für Bauvorhaben verbindlich zu machen. Dabei sollte das mittlere Preissegment in teuren Wohnlagen die Sozialquote ergänzen, da hier gleichermaßen der Bedarf beiden Formen der Mietpreisbindung besteht. In günstigen Lagen hingegen kann das mittlere Preissegment die Sozialquote ganz oder teilweise ersetzen, da die Mieten der Bestandswohnungen mancherorts unter dem Niveau von Sozialwohnungsmieten liegen, am deutlichsten im Stadtteil Blumenthal. Die insgesamt geforderte Sozialquote muss dabei weiterhin mindestens 30% betragen.
Die plurale Gesellschaft stellt Anforderungen an den Wohnungsmarkt: In Bezug auf Bezahlbarkeit, in Bezug auf Verfügbarkeit, wohnortnahe Infrastruktur, Wohnungsgrößen, Qualität, gute Nachbarschaften und lebendige Quartiere. Die mittelfristigen Bedarfe sollen in einer Wohnraumbedarfsprognose erhoben werden. Die so eruierten Bedarfe sollen in ein Konzept gegossen werden, welches die stadtteilspezifischen Handlungsbedarfe und Möglichkeiten für die Versorgung mit preisgebundenen und -gedämpften Sozialwohnungen erfasst.
Ein ausreichendes Angebot an Sozialwohnungen in allen Stadtteilen lässt sich angesichts der zahlenmäßig überragenden Bedeutung des Wohnungsbestandes nur mit Neubau nicht erreichen. Hier braucht es verstärkt auch die Schaffung von Sozialwohnungen im Bestand. Dazu dienen zwei Instrumente: zum einen der Ankauf von Belegbindungen, wie er initiiert durch die rot-grün-rote Koalition in der vergangenen Wahlperiode bereits eingeführt wurde. Zum anderen ist die Modernisierungsförderung ein immer wichtiger werdender Baustein, um Bestandswohnungen nicht nur energetisch effizienter zu machen, sondern durch die Modernisierungsförderung als neue Förderkulisse in der Wohnraumförderung auch die Bezahlbarkeit zu gewährleisten.
Die Stadtbürgerschaft möge beschließen:
Die Stadtbürgerschaft fordert den Senat auf,
1. auf Grundlage der kommenden Wohnraumbedarfsprognose 2031 einen Plan zu entwickeln, welche den kurz- und mittelfristigen quantitativen und qualitativen Bedarf an Wohnraum nach verschiedenen Haushaltstypen erfasst und dabei auch den Bestand und die Entwicklung der geförderten Wohnungen (Sozialwohnungen und preisgedämpft) sowie die vorhandenen Angebotsmieten pro Stadtteil berücksichtigt;
2. um das Ziel zu verfolgen, eine stärkere soziale Durchmischung der Stadtteile zu erreichen, binnen zwölf Monaten nach Vorlage der Wohnraumbedarfsprognose der Deputation für Mobilität, Bau und Stadtentwicklung ein Konzept für sozial gemischte Stadtteile zur Beschlussfassung vorzulegen, welches
- a. die Ergebnisse und Empfehlungen der Wohnraumbedarfsprognose im Hinblick auf Orientierungsgrößen zur Differenzierung des Wohnungsbaus, Umgang mit der Erschwinglichkeitskluft zwischen einkommensschwachen Haushalten mit und ohne KdU (Kosten der Unterkunft) und standortabhängige Ziele sozialer Durchmischung berücksichtigt;
- b. die bisher einheitliche Regelung zur Sozialwohnungsquote um mehrere, in Punkt 3 genannte Elemente ergänzt und an die stadtteilbezogenen Bedingungen konkret anpasst;
3. im Konzept möglichst konkrete, in die Planungsprozesse integrierbare Umsetzungsziele im Hinblick auf gesamtstädtische Bedarfe, Stadtteilspezifika und für die stadtteilbezogenen Rahmenbedingungen geeignete Instrumente aufzuzeigen. Bei dem Konzept sollen folgende Prämissen Berücksichtigung finden:
- a. Die 30-Prozent-Sozialwohnungsquote soll bei Neubauten als Standardanforderung fortgeführt werden. Ergänzt werden soll sie um ein preisgedämpftes Element. Der gesamtstädtische Zielwert sollte sich dabei an den sozialökonomischen Bedarfen der Haushalte in Bremen orientieren und bei mindestens 30% liegen. Die konkrete Quote soll je nach Ausgangsbedingungen im Stadtteil (Bestands- und Angebotsmieten, Bestand an Sozialwohnungen) standortangepasst zusätzlich (für hochpreisige Lagen) oder teilweise bis vollständig ersetzend (für niedrigpreisige Lagen) eine Quote für preisgedämpften gebundenen Wohnraum (“mittleres Preissegment”) festlegen. Die Gesamtzahl an zu schaffenden preisgebundenen Wohnungen soll dabei insgesamt nicht sinken;
- b. In hochpreisigen, stark verdichteten Stadtteilen die Bagatellgrenze für das Greifen der Sozialwohnungsquote von derzeit 20 abzusenken auf 6 Wohneinheiten;
- c. Sofern die Rechtsgrundlage für sektorale Bebauungspläne verlängert wird, dieses Instrument weiter zu nutzen, um eine Sozialquote auch dort zu verankern, wo Um- und Neubau im Rahmen bestehender Bebauungspläne möglich ist und sich dabei auf hochpreisige Quartiere zu konzentrieren;
- d. Für sozial und stadtentwicklungspolitisch wichtige Quartiere, für die bereits Bebauungspläne existieren, Vorkaufsrechte zu nutzen, Vorkaufssatzungen zu erwirken oder Flächenankäufe zu prüfen;
4. der Deputation für Mobilität, Bau und Stadtentwicklung bis Ende 2026 einen fundierten Zwischenbericht zur Umsetzung vorzulegen.
Sofia Leonidakis, Nelson Janßen und Fraktion
Die Linke Falk Wagner, Katharina Kähler, Mustafa Güngör und Fraktion der SPD
Bithja Menzel, Henrike Müller und die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
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