Leonidakis zur Regierungserklärung: "Übergewinne auf dem Energiemarkt abgeschöpfen!"

Gerecht und fair: Entlastung jetzt – Energiearmut verhindern

In Folge des russischen Angriffs auf die Ukraine stiegen die Energie- und Lebensmittelpreise in den vergangenen Monaten enorm an. Im August 2022 lagen die Energiepreise, vor allem für Gas, um 35,6 Prozent höher als im Vorjahresmonat. Auch bei den Nahrungsmitteln stiegen die Preise im Vergleich zum Vorjahr um 16,6 Prozent überdurchschnittlich. Für viele Bürger*innen in Deutschland bedeutete dies eine große Belastung. Aber nicht nur Privathaushalte, sondern auch energieintensive kleine und mittlere Betriebe sind derzeit davon bedroht, in Zahlungsschwierigkeiten zu geraten. In dieser außergewöhnlichen Lage, die mit einer Inflationsquote von rund 8 Prozent einhergeht und bis tief in die Mittelschicht hineinwirkt, ist die Bundesregierung in besonderem Maße gefordert, niemanden bei der Bewältigung dieser Herausforderungen allein zu lassen. Jüngst hat die Bundesregierung ein drittes Entlastungspaket mit einem Gesamtvolumen von über 65 Milliarden Euro auf den Weg gebracht. Es beinhaltet verschiedene Maßnahmen und auch Entlastungen für Betroffene, die bisher nicht adressiert wurden: Rentner*innen, Studierende und Auszubildende erhalten nun ebenfalls eine Einmalzahlung. Zudem sieht das dritte Entlastungspaket weitere Maßnahmen, etwa im Bereich des Wohngeldes, der Energiesperren und der Nachfolge für das erfolgreiche Neun-Euro-Ticket vor.

Gleichzeitig ist auch das Land Bremen aktiv geworden. Erste wichtige Maßnahmen, die die Energiekrise abmildern sollen, hat der Senat bereits vorgelegt, beispielsweise eine geringere Beheizung vieler öffentlicher Gebäude (mit Ausnahme von z.B. Kitas, Schulen, Pflegeeinrichtungen und Krankenhäusern). Zudem wird es im Bereich der Beleuchtung von Straßen und Gebäuden sowohl deutliche Einsparungen als auch energiesparende Umrüstungen geben. Der Senat wird sich auch dafür einsetzen, die Nutzung des bereits bestehenden Härtefallfonds zur Reduzierung von Energie- und Wassersperren auszuweiten, um soziale Notlagen und Versorgungsausfälle aufgrund von Zahlungsausfällen zu verhindern. Zudem werden mit der SWB AG erleichterte Stundungsregelungen für Nachzahlungsforderungen vereinbart. Für diese und weitere Maßnahmen stellt der Senat einen Betrag von zehn Millionen Euro zur Verfügung.

Damit die Hilfen auf Landes- wie auch auf Bundesebene schnell ankommen, bedürfen sowohl die Maßnahmen des dritten Entlastungspakets als auch die Vorhaben des Bremer Senats dringend einer Konkretisierung, einschließlich schneller Umsetzungsschritte sowie weiterer Flankierungen. Hierzu gehört neben zusätzlichen und nachjustierten Unterstützungen für Erwerbslose, für Menschen im Grundsicherungsbezug und mit geringem Einkommen auch eine schnelle Lösung für das bundesweite Nahverkehrsticket. Zudem wird ein bundesweiter Gaspreisdeckel für einen ausreichenden Grundverbrauch in allen Privathaushalten und in energieintensiven kleinen und mittleren Unternehmen notwendig sein. Ebenso muss sichergestellt werden, dass Energiesperren bei krisenbedingten Zahlungsschwierigkeiten ausgeschlossen sind. Darüber hinaus ist auf Landesebene dafür Sorge zu tragen, dass z.B. die Ausweitung der Wohngeldberechtigten durch eine zügige Antragsbearbeitung rasch zu einer deutlichen Entlastung vieler führt. Ebenso bedarf es einer niedrigschwelligen Kampagne, die Menschen mit wenig Einkommen über die ihnen zustehenden Leistungsansprüche informiert, so dass sie ihre Rechte auf Unterstützung auch wahrnehmen. Lösungen braucht es auch für die Frage, welche Unterstützungen Vereine sowie zuwendungs- oder entgeltfinanzierte Projekte und Einrichtungen, Gesellschaften oder öffentliche Betriebe erhalten können, um die deutlich erhöhten Energiekosten finanzieren zu können.

Nur durch gemeinsames konsequentes und solidarisches Handeln werden wir die Krisen dieser Zeit bewältigen – dies galt und gilt für die Corona-Pandemie genauso wie für die aktuelle Energie- und Lebensmittelpreiskrise.

Die Bürgerschaft (Landtag) möge beschließen:

Die Bürgerschaft (Landtag) fordert den Senat auf,

auf Bundesebene darauf hinzuwirken,

  1. dass als Sofortmaßnahme schnellstmöglich, in jedem Fall noch in diesem Jahr, Empfänger*innen existenzsichernder Leistungen nach den SGB II, SGB XII und dem AsylbLG sowie Arbeitslosengeld I nach § 136 SGB III eine Einmalzahlung in Höhe von mindestens 200 Euro erhalten;
  2. dass im Rahmen der Einführung des Bürgergelds die Regelsätze zur Sicherung des Lebensunterhalts nach SGB II, SGB XII und auch des AsylbLG wie angekündigt fortan unter Einbeziehung der zu erwartenden Inflation im jeweiligen Jahr angepasst sowie grundsätzlich deutlich erhöht werden;
  3. dass für Grundsicherungsbezieher*innen des SGB II, SGB XII und AsylbLG kurzfristig Stromkostennachzahlungen einmalig für den Abrechnungszeitraum 2022/23 übernommen werden und mittelfristig im neuen Bürgergeld die Kosten für Strom aus den Sätzen des Regelbedarfs herausgenommen und über die Kosten der Unterkunft in ihrer tatsächlichen Höhe, vergleichbar der Kosten für Heizung, gezahlt werden. Eine entsprechende Pauschale soll auch für die Zahlung von Wohngeld entwickelt werden. Die den Kommunen hierdurch entstehenden Mehrkosten sollen vom Bund getragen werden. Darüber hinaus ist zu gewährleisten, dass die Leistungen aus einem Förderprogramm zur Anschaffung energieeffizienter Kühlgeräte nicht auf die Regelsätze angerechnet werden;
  4. dass eine für alle möglichst günstige und bundesweit gültige Nachfolgeregelung des Neun-Euro-Tickets (unter 50 Euro im Monat) inklusive eines deutlich vergünstigten Sozialtickets im ÖPNV zügig umgesetzt und dafür umgehend Verhandlungen bis zum Jahresende über eine faire Finanzierung zwischen Bund und Ländern aufgenommen werden;
  5. dass die im Koalitionsvertrag der Bundesregierung zugesagte Erhöhung der Regionalisierungsmittel für den Ausbau des ÖPNV sichergestellt und zusätzlich zur gesetzlichen Dynamisierung an die tatsächliche Kostenentwicklung angepasst wird;
  6. dass eine starke Vereinfachung des Wohngeldantragsprozesses vorgenommen wird, um eine unkomplizierte und zügige Auszahlung des Wohngeldes zu gewährleisten;
  7. dass ein zunächst befristeter Gaspreisdeckel für einen Basisverbrauch in allen Privathaushalten eingeführt wird. Hierfür ist ein ausreichender Basisbedarf für Heizen und Warmwasser zu ermitteln, für dessen Menge eine Preisgarantie in angemessener Höhe greifen soll;
  8. dass das angekündigte Bundeshilfsprogramm für energieintensive kleine und mittlere Unternehmen (z.B. Wäschereien, Bäckereien etc.) eine Zuschussförderung zur temporären Kompensation hoher Energiekosten, insbesondere Gaskosten, enthält sowie ein Gaspreisdeckel für energieintensive kleine und mittlere Unternehmen eingeführt wird;
  9. dass die angekündigten Abwendungsvereinbarungen für Strom- und Gassperren schnellstmöglich so ausgestaltet werden, dass keine Energiesperren erfolgen, wenn Haushalte aufgrund der gestiegenen Verbraucher*innenpreise in Zahlungsverzug geraten;
  10. dass die Finanzierung der Maßnahmen zur Abmilderung der direkten sozialen Folgen des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine und der hohen Energiepreise über einen fairen Lastenausgleich erbracht wird, dessen zentraler Baustein eine Übergewinnsteuer für Energiekonzerne ist, die noch in diesem Jahr erhoben wird, um die hohen Zufallsgewinne 2022 abzuschöpfen;

im Land Bremen

11. angesichts der Ausweitung der Antragsberechtigten für Wohngeld unmittelbar geeignete Maßnahmen wie zum Beispiel eine angemessene personelle Aufstockung, IT-Verbesserungen und Verfahrensvereinfachungen zu ergreifen, um die Auszahlung des Wohngeldes sicherzustellen

12. in Kooperation mit der SWB AG auf ein Förderprogramm für den Austausch und Wechsel zu energieeffizienteren Kühlgeräten hinzuwirken, mit dem Ziel, Leistungsempfänger*innen und Haushalte mit niedrigem Einkommen, denen es nicht ohne weiteres möglich ist, energieeffizientere Geräte zu erwerben, eine Neuanschaffung zu ermöglichen. Hierfür ist eine zielgruppenspezifische Kommunikationsstrategie zu entwickeln und eine niedrigschwellige Beantragung zu gewährleisten;

13. das „Konzept zur Realisierung des Härtefallfonds zur Reduzierung von Energie- und Wassersperren“ vor dem Hintergrund der neuen Entwicklungen und der bisherigen Praxiserfahrung in dem Sinne weiterzuentwickeln, dass mehr Sperren abgewendet werden. Auch die öffentliche Kommunikation des Fonds muss entsprechend der neuen Ausgestaltung weiterentwickelt und beispielsweise durch weitere Mittel (z.B. Social Media) und in verschiedenen Sprachen ergänzt werden;

14. mit einer dezentralen und digitalen Informationskampagne Nicht-Leistungsbeziehende mit geringem Einkommen auf die Möglichkeit der einmaligen Übernahme von Nachforderungen durch die Jobcenter hinzuweisen sowie bei Leistungsberechtigten für die Inanspruchnahme von Sozialleistungen (zum Beispiel Kinderzuschlag, Wohngeld, Grundsicherung im Alter) zu werben;

15. einen Vorschlag für die Ausgestaltung und Einführung eines „Klimabonus“ zu erarbeiten. Damit soll die Bemessungsgrundlage für die Kosten der Unterkunft erhöht werden, wenn eine energetische Gebäudesanierung vorliegt bzw. der Energieausweis für Wohngebäude einen entsprechenden energetischen Standard nachweist. Ziel ist es, dass höhere Kaltmieten in energetischen Wohnungen, unter Berücksichtigung der niedrigeren Nebenkosten, übernommen werden, und damit hohe Energiekosten vermieden werden;

16. einen Vorschlag zu erarbeiten, wie und in welchem Umfang für öffentliche Betriebe, Gesellschaften, Vereine, kulturelle Einrichtungen sowie zuwendungs- oder entgeltfinanzierte Projekte und Einrichtungen eine Kompensation für gestiegene Betriebskosten geleistet werden kann. Energieeinsparpotenziale und existierende Bundeshilfsprogramme sind vorrangig zu prüfen und auszuschöpfen;

17. mit einer Informationskampagne das differenzierte Angebot an (aufsuchenden) Energieeinsparberatungen der Verbraucherzentrale, Stromsparcheck und Energiekonsens bei Privathaushalten und gewerblichen Akteur*innen stärker bekannt zu machen und intensiver zu bewerben. Die Kampagne ist mehrsprachig und multimedial durchzuführen;

18. angesichts der hohen Zahl von Verbraucher*innen, die Probleme haben ihre Energierechnungen zu begleichen, Mittel zur Verfügung zu stellen, um eine ergänzende Energierechtsberatung und eine Budgetberatung bei der Verbraucherzentrale zu schaffen Die Berater*innen der Verbraucherzentrale sollen zukünftig wie bereits die Berater*innen des Stromspar-Checks mit sogenannten „Energiesparartikeln” ausgestattet werden, da durch Artikel wie LED-Leuchten, Kühlschrankthermometer, Steckerleisten, Wasserspararmaturen oder Thermohygrometer eine unmittelbare Kontrolle und Einsparung der Energiekosten ermöglicht wird;

19. bei einer positiven Evaluierung der Pilotphase für die Förderung von Balkonsolaranlagen bei öffentlichen Wohnungsbaugesellschaften einen Plan vorzulegen, wie das Förderprogramm für einkommensarme Mieter*innenhaushalte fortgeführt sowie entsprechend angepasst und ausgeweitet werden kann;

20. über die Umsetzung der verschiedenen Beschlusspunkte bis Ende des Jahres der Bürgerschaft (Landtag) zu berichten.

Sofia Leonidakis, Nelson Janßen, Ingo Tebje und Fraktion DIE LINKE
Birgitt Pfeiffer, Arno Gottschalk, Mustafa Güngör und Fraktion der SPD
Sahhanim Görgü-Philipp, Philipp Bruck, Björn Fecker und Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN