Unterstützung für geflüchtete Menschen mit Behinderung

Menschen mit Behinderungen zählen laut Artikel 21 der EU-Aufnahmerichtlinie (Richtlinie 2013/33/EU) zu den besonders schutzbedürftigen Personen. Neben beispielsweise sprachlichen und bürokratischen Hürden treffen sie zusätzlich auf behinderungsbedingte Barrieren, die einer individuellen Unterstützung bedürfen. Davon betroffen sind unter anderem blinde und gehörlose Menschen, Menschen mit körperlichen Beeinträchtigungen und Menschen mit kognitiver Behinderung – teils auch als Folge von Kriegsverletzungen. Eine besondere Härte besteht, wenn diese Menschen zudem allein oder unbegleitet flüchten. Durch den Angriffskrieg gegen die Ukraine ist die Anzahl von geflüchteten Menschen mit Behinderungen angestiegen. Schätzungen gehen davon aus, dass zurzeit zehn bis 15 Prozent aller Schutzsuchenden in Deutschland eine Behinderung haben; exakte Zahlen liegen bisher nicht vor.

Die EU-Aufnahmerichtlinie 2013/33/EU beschreibt zwar in Artikel 21 die Anforderung an ihre Mitgliedstaaten, die spezielle Situation besonders Schutzbedürftiger, wozu auch Menschen mit Behinderung zählen, in der Aufnahme Schutzsuchender zu berücksichtigen. Der Fokus lag in den vergangenen Jahren auf anderen besonders schutzbedürftigen Gruppen, wie z.B. auf unbegleiteten Minderjährigen oder schwangeren Geflüchteten. Die bis dato kleine Anzahl von Geflüchteten mit Behinderung galten als Einzelfälle. Aufgrund der deutlichen Zunahme von Schutzsuchenden mit Behinderung sind nun jedoch der Bund und die Länder gefordert, die Aufnahmepraxis und Versorgung von Schutzsuchenden mit Behinderungen entsprechend an-zupassen und individuelle Unterstützungsbedarfe sicherzustellen.

Mit Blick auf die Anforderungen der EU-Aufnahmerichtlinie, den strukturellen Schwächen in der bisherigen Aufnahmepraxis und den Benachteiligungen, die daraus erwachsen (können), bedarf es von allen Ländern und Kommunen einer besonderen Anstrengung, das Thema Behinderung stärker als bisher in der Aufnahme und Versorgung von Schutzsuchenden zu be-achten. Im Land Bremen ist dafür zunächst die gegenwärtige Situation von Menschen mit Behinderung im Aufnahme- und Unterbringungssystem zu erfassen, um Handlungsnotwendigkeiten identifizieren zu können. Darauf aufbauend ist zu eruieren, welche kurzfristigen und perspektivischen Maßnahmen zu ergreifen sind, um die Lage von geflüchteten Menschen mit Behinderungen bei uns zu verbessern. Hierfür sollte auch die Praxis beziehungsweise die Entwicklung von Verfahren in anderen Ländern und Kommunen in den Blick genommen werden. Beispielsweise entwickelt das Land Berlin gegenwärtig eine Versorgungstruktur für behinderte Menschen mit Fluchthintergrund, deren Kern ein systematisches Screeningverfahren im Auf-nahmeprozess ist. Ziel unserer Anstrengungen muss es sein, eine bedarfsgerechte Aufnahme und Versorgung von geflüchteten Menschen mit Behinderung im Land Bremen sicherzustellen.

Vor diesem Hintergrund fragen den Senat:

1. Wie bewertet der Senat die Bedeutsamkeit, geflüchteten Menschen mit Behinderung zeitnah nach ihrer (vorläufigen) Aufnahme im Land Bremen eine ihren Bedarfen entsprechende Unterstützung sicherzustellen?
2. Wann, an welcher Stelle im Aufnahmeverfahren und durch wen erfolgt eine Identifizierung von möglichen Behinderungen bei Menschen, die untergebracht werden
a. aus EU-Staaten (VILA-Verfahren),
b. Drittstaaten,
c. sogenannten „sicheren Herkunftsländern“ oder
d. aus der Ukraine?
3. Welches Verfahren wird gegenwärtig im Land Bremen angewandt, um geflüchtete Personen mit Behinderung zu identifizieren?
4. Wie viele Geflüchtete mit Behinderung leben aktuell
a. in den Notunterkünften,
b. in den regulären Erstaufnahmeeinrichtungen,
c. in den Übergangswohnheimen und
d. in der Erstaufnahme und den Unterkünften für unbegleitete minderjährige Geflüchtete im Land Bremen?
(Bitte aufgeschlüsselt nach körperlichen Behinderungen, Sinnesbehinderungen, kognitiver Behinderung sowie seelischer Behinderung)
5. Welche Formen der Unterstützung erhalten geflüchtete Menschen mit Behinderung gegenwärtig, während sie im Unterbringungssystem des Landes Bremen leben? Bitte differenziert darstellen nach Notunterkünften, Erstaufnahmeeinrichtungen, Übergangswohnheimen.
6. Wie wird gewährleistet, dass geflüchtete Menschen mit Behinderungen jederzeit not-wendige Hilfen (Rollstühle, Gebärdensprachdolmetscher, Medikationen etc.) erhalten?
7. Wie viele Menschen mit Fluchthintergrund und Behinderung befinden sich seit 2015 im System der Eingliederungshilfe?
8. Wie stellt das Land Bremen sicher, dass mögliche Bedarfe wegen einer Behinderung bei einer Weiterverteilung in ein anderes Bundesland berücksichtigt werden bzw., dass die aufnehmende Kommune frühzeitig von notwendigen Unterstützungsleistungen (beispielsweise Gebärdensprachdolmetscher:in) erfährt?
9. Welche Verfahren und Instrumente zur schnellen Erfassung besonderer Bedarfe von geflüchteten Menschen mit Behinderung, die in anderen Bundesländern oder Kommunen angewandt werden, sind dem Senat bekannt und wie bewertet er diese im Vergleich oder ergänzend zur gegenwärtigen bremischen Praxis?
10. Welche Möglichkeiten sieht der Senat, im Land Bremen ein Screening Verfahren (z.B. nach dem Berliner Modell) einzuführen?
a. Mit welchen einzelnen Schritten und mit welcher zeitlichen Perspektive wäre dies zu realisieren?
b. Welche Ressourcen bedürfte es dafür?
11. Inwieweit sieht der Senat Bedarfe für kurzfristige Maßnahmen, um die Versorgung von geflüchteten Menschen mit Behinderungen, die in Aufnahmeeinrichtungen bzw. im Unterbringungssystem im Land Bremen leben, zu verbessern?

Birgitt Pfeiffer, Valentina Tuchel, Holger Welt, Mustafa Güngör und Fraktion der SPD
Sahhanim Görgü-Philipp, Thomas Pörschke, Björn Fecker und Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Sofia Leonidakis, Nelson Janßen, Olaf Zimmer und Fraktion DIE LINKE